Analystenkommentar zu den Auswirkungen des OpenText EMC Deals
Dass Dell durch die Übernahme von EMC ein gekauftes ECM-Geschäft wieder an den Markt bringen wollte, war schon seit einiger Zeit kein Geheimnis mehr. Nun wurde mit OpenText ein potenter Käufer gefunden. Der kanadische Anbieter ist unbestritten der größte Anbieter am Markt und hält weltweit die größten Marktanteile. Aber was bedeutet der Deal für den deutschsprachigen ECM-Markt, der für OpenText ein extrem wichtiger und erfolgreicher Markt ist? Wie geht der Wettbewerb mit der neuen Marktsituation um? Und welchen Aufgaben muss sich der neue Mega-Konzern stellen? Die Analysten von Pentadoc Radar schätzen die Konsequenzen des Deals für Markt, Kunden und Wettbewerb ein.
Integration ja, aber was denn genau?
Betrachtet man die jüngere Vergangenheit von OpenText, so zeigt sich schnell, dass Übernahmen von Software-Häusern fast schon an der Tagesordnung stehen. Mit EMC hat sich OpenText nun ein absolutes Schwergewicht eingekauft, das OpenText in nächster Zeit sicherlich viel Energie kosten wird, um das Portfolio geschickt in das eigene zu integrieren. Betrachtet man die beiden Produktlandschaften, so zeigen sich zahlreiche Überschneidungen sowie ein teilweise überholtes und ebenfalls von Zukäufen und heterogenen Technologien geprägtes Documentum Portfolio. Man kann also davon ausgehen, dass eine vollständige Integration sicher nicht das Ziel ist. Vielmehr muss OpenText die Details gut analysieren und bewerten. Laut eigener Ankündigung will man sich maximal ein Jahr Zeit nehmen, um diese Aufgabe abzuschließen. Bei der Größe und dem Ausmaß dieser Aufgabe, war bei der Formulierung dieses Zeitrahmens wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.
Neben der Auseinandersetzung mit Produkten und Ergänzungen oder Überschneidungen im Portfolio ist auch die organisatorische Komponente eines solchen Deals in dieser Größenordnung nicht außer Acht zu lassen. Intern wird sich vermutlich ein Kompetenzgerangel im Kampf um die besten Positionen entwickeln. Schlechte Voraussetzungen für eine strukturierte und zügige Neuorganisation.
Was passiert mit König Kunde?
Kunden hat OpenText dank des EMC-Mergers nun mehr als jeder andere Anbieter im ECM-Segment. Auch wenn bei EMC in der jüngeren Vergangenheit sich gehäuft Kunden von dem Softwarehaus abgewendet haben. Bei den verbliebenen EMC-Bestandskunden dürfte die Übernahme gemischte Gefühle auslösen. Das sind größtenteils große Anwenderunternehmen, deren Systeme gewachsen und oft stark auf eigene Ansprüche angepasst sind. Für diese Kunden wird die Antwort auf die Frage, welche Komponenten von EMC weiterhin strategisch bleiben und welche nicht extrem spannend. Geht man davon aus, dass OpenText nur einen Teil der Produkte fortführt, dürfte das für viele Kunden eher unangenehm werden. Entweder man gibt sich mit der bestehenden Lösung und den dann voraussichtlich halbherzigen Weiterentwicklungsaktivitäten zufrieden oder man überführt seine Lösung sukzessive in eine neue Architektur, die auf strategischen OpenText Produkten aufgebaut ist. Beides keine wirklich reizvollen Perspektiven. Für derzeit wechselwillige EMC Kunden und Interessenten eröffnen sich hingegen vielseitige Möglichkeiten, ihre Projekte mit leistungsfähigen Lösungen aus dem Hause OpenText umzusetzen. Egal welche Art Kunde OpenText anspricht, es wird viel Überzeugungsarbeit nötig sein, um die Kunden nachhaltig zu begeistern und das Vertrauen zu gewinnen – eine Mammutaufgabe die sicher nicht ohne Verluste zu meistern ist.
Konsequenzen für den DACH-Markt
Für OpenText gehörte der DACH-Markt stets zu den wichtigsten in der Welt. Nach dem nordamerikanischen nimmt speziell der deutsche Markt schon seit einigen Jahren einen hohen Stellenwert für das Unternehmen ein. Das hat sich sowohl in der Marktansprache als auch in der Präsenz und in der Bedeutung von Kundenwünschen für die Produktentwicklung gezeigt, wenngleich zuletzt ein leichter Rückgang in der hiesigen Präsenz festzustellen war. EMC hingegen spielt im deutschsprachigen Raum schon lange eine nur noch untergeordnete Rolle. Daher ist davon auszugehen, dass der Merger OpenText in DACH nicht wesentlich voranbringen wird.
Die Marktstruktur in DACH wird weiterhin durch eine Vielzahl kleinerer Anbieter geprägt sein, deren Management flexibel auf veränderte Marktbedingungen reagiert. Nur wenig große Anbieter mit vollständiger Produktabdeckung aller Teildisziplinen des Informationsmanagements spielen hier überhaupt eine Rolle. Von einer merklichen Veränderung in der bestehenden Marktstruktur in DACH wird vorerst nicht ausgegangen.
Wettbewerb in Lauerstellung?
Inwieweit der Wettbewerb die Phase der Neuausrichtung bei OpenText zu seinen Zwecken nutzen wird bleibt spannend. Betrachtet man die großen Software-Anbieter die OpenText am Markt entgegentreten können und deren ECM-Lösungen, so zeichnet sich folgendes Bild:
Lexmark befindet sich nach dem Merger-Marathon der letzten Jahre selbst noch in einer Art Schockstarre. Das Unternehmen kann bis heute nur Teile einer Roadmap und Produktentwicklungsstrategie vorstellen und ist weit davon entfernt, ein einheitliches Angebot und eine organisatorische Klarheit am Markt zur Schau zu stellen.
IBM verfügt über ein umfangreiches Repertoire leistungsfähiger und führender Technologien, hat aber im Moment selbst Schwierigkeiten diese bei den Kunden zu platzieren. Durch den immer stärkeren Fokus auf Content Analytics und der geschickten Markenpositionierung von Watson hat IBM definitiv ein „Ass im Ärmel“.
Microsoft hat sich mit SharePoint nie wirklich zum Thema ECM positioniert, zeigt sich derzeit im Cloud Segment unwahrscheinlich agil und hat den einstigen Rückstand aufgeholt. Bezogen auf die Wettbewerbssituation dürfte der OpenText Deal eher weniger Beachtung bei Microsoft auslösen, da diese eher weniger gegeben ist und sich die Produkte in einigen Bereichen auch gut ergänzen.
Insbesondere die mittelständischen Anbieter von DMS- und ECM-Software könnten das zu erwartende Vakuum bzw. mögliche Unsicherheit von Kunden nutzen, um wechselwillige Kunden von der eigenen Leistungsfähigkeit und Agilität zu überzeugen. Gerade den kleineren Anbietern am Markt kommt hier eine Schlüsselrolle zu, da diese durch Flexibilität, Kundennähe und Preismodell oftmals besser überzeugen. Damit ist die Bühne für die „Kleinen“ im deutschsprachigen Raum in nächster Zeit erstmal bereitet. Wie viele diese Chance erkennen und nutzen werden ist offen.
Augen auf im DACH-Markt
OpenText hält das Zepter zunächst in der Hand und kann die Geschicke des Marktes als wichtigster und größter ECM-Softwarehersteller nun entscheidend lenken. Die Einflussnahme erstreckt sich über die breite Bestandskundenbasis direkt auf die Trends, die den Markt in den nächsten Jahren prägen werden. Voraussetzung dafür ist, dass OpenText es schnell schafft, mit neuer Stärke am Markt präsent zu sein und produktseitig maximales Potenzial auszuschöpfen. Die Frage ob hier ein neuer Riese entsteht kann in einigen Teilen definitiv mit „ja“ beantwortet werden, insbesondere in den Bereichen Markanteil, Technologie und Durchsetzungsvermögen. In Themen wie technologische und organisatorische Integration, Positionierung im Cloud-Segment für ECM sowie Kundenbindung und Vertrauensgewinn muss OpenText einem Riesen gerecht werdende Anstrengungen aufwenden, um diese Frage für sich positiv zu beantworten.