Der Kern von Digitalisierung ist, dass alles auf der Basis digitalisierter Vorgänge realisiert oder besser, einfacher, schneller gemacht werden kann. Und zwar wirklich alles, egal ob es sich um Tele-Medizin, Heizungsbau, zwischenmenschliche Beziehungen, Aktenverwaltung oder Strandurlaube handelt. Eine solche Herausforderung lässt sich nicht einfach durch willkürlichen Einsatz von Ressourcen bewältigen. Sie bedarf gezielter technischer Anpassung, begleitet von einer geistigen Neuausrichtung.
Früher war anders, aber nicht besser!
Zunächst unterscheidet sich der Prozess nicht von früheren Phasen der Industrialisierung. Technisierung und Automatisierung begleiten den Menschen seit der industriellen Revolution auf Schritt und Tritt. Die Digitalisierung ist in ihrem Wesen nach jedoch sehr viel umfassender als die Einführung der Dampfmaschinen oder die der Fließbandarbeit. Elektronische Geräte und mit ihnen die digitalen Inhalte dringen immer weiter in alle erdenklichen Lebensbereiche vor. Ihrer anpassungsfähigen Nützlichkeit ist es zu verdanken, dass ‚Industrialisierung‘ nicht mehr nur in Büros und Fabrikhallen stattfindet, sondern auch unterwegs und zu Hause.
Das Potential für Wachstum und Umsatz ist gewaltig. Dem BDI zufolge liegt das digitale Wertschöpfungspotential in Deutschland bei 425 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025. Für diesen Zeitraum schätzt Cisco das weltweite Potenzial des ‚Internet of Everything‘ auf 14,4 Billionen US-Dollar (net profit). 90 Prozent aller Unternehmen sehen den Wandel als Chance und wollen ihre Investitionen entweder beibehalten oder sogar weiter ausbauen. Aber wie jeder Entwicklungsschritt wecken neuartige Maschinen und Abläufe nicht bloß Begeisterung.
Auch in den vorhergehenden Phasen der Industrialisierung waren die betroffenen Mitarbeiter darüber besorgt, verdrängt zu werden, ihren Arbeitsplatz und somit ihren jeweiligen Status innerhalb der Gesellschaft einzubüßen. Da die Arbeitstätigkeit für die eigene Identität weiter an Bedeutung zugenommen hat, ist diese Skepsis nach wie vor verbreitet. Allerdings haben wir mit diesem Industrialisierungsschritt alle Mittel zu Hand, um den Beteiligten die Ausgestaltung der Verhältnisse zu ermöglichen.
Mensch oder und Technik?
Die Frage, ob man bei der Digitalisierung mitmachen sollte oder ob ein Unternehmen neue Technologien einführt, stellt sich allerdings schon gar nicht mehr. Diesen Eindruck zu vermitteln führt unweigerlich in eine gedankliche Sackgasse. Deshalb ist es von entscheidender Wichtigkeit, aktiv über die neuen Services und die daraus schöpfbaren Freiräume zu sprechen, um ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen. Thematisch muss eine Reihe von Einstellungen abgearbeitet werden, um alle von ihrem jeweiligen Wissens- und Überzeugungsstand abzuholen:
- Möglichkeiten und Grenzen neuer Technik erklären
- Chancen für die individuelle Arbeitsweise aufzeigen
- erforderliche Anpassung an die neuen Gegebenheiten anregen und unterstützen
- Feedback und Ideen nutzen
Digitalisierung ≠ Revolution…
Es klingt wie eine Plattitüde, aber die Möglichkeiten sind tatsächlich endlos und werden nur durch unseren Einfallsreichtum beschränkt. In jedem Beruf gibt es einfach strukturierte, gleichartige Vorgänge, die relativ leicht durch Maschinen ersetzt und durch Computer gesteuert werden.
Wichtiger ist aber, auf welche Weise Technik dem Menschen zuarbeitet und komplexe Tätigkeiten leichter handhabbar macht. Digitalisierte Verwaltung wird zugänglicher, Kommunikation allgegenwärtig und der natürlichen Vergesslichkeit stellen sich digitale Helferlein entgegen. An jedem Arbeitsplatz wird die Digitalisierung ein wenig anders wirksam. Daher müssen die Vorteile auch spezifisch angesprochen werden; stets mit dem Verweis, dass jeder Fortschritt den Weg freimacht, um noch mehr Routinetätigkeiten an Computer abzugeben. Nicht stattfinden wird hingegen eine „Revolution“ im ursprünglichen Sinn des Wortes. Nach wie vor ist dafür der Mensch als soziales Wesen verantwortlich und nicht die Technologie, die er verwendet. Besonders das Marketing sollte daher vorsichtiger mit Worten umgehen, die im Alltagsverständnis eine vielschichtige Interpretation zulassen.
Digitalisierung in der Arbeitswelt trägt dazu bei, die Produktivität durch Vernetzung, Vereinfachung und Individualisierung zu erhöhen. Digitalisierung in der Lebenswelt trägt optimaler Weise zur Steigerung der Lebensqualität bei. Diese Effekte bedingen sich gegenseitig, was Vorteile mit sich bringt. Aber es ist dennoch entscheidend, sie im Vermittlungsprozess wenigstens einmal voneinander abzugrenzen.
Der Weg zur Digitalisierung muss bereitet werden
Wohl am offensichtlichsten sind die Vorteile in der alltäglichen Verwaltung und Bearbeitung von Dokumenten. Selbst wer das Papierzeitalter mit den endlosen Abschriften und Papierbergen nicht mehr erlebt hat und schon immer mit dem Computer arbeitet, weiß, dass es im Alltag Mühe bereitet, Ordnung zu schaffen und den Überblick zu behalten. Zentralisierte Ablagen von digitalen Unterlagen helfen, dass Chaos gar nicht erst entsteht. Digitale Kopien nehmen keinen Platz weg, aber schützen besser denn je gegen Verlust. Mit Textvorlagen werden auch umfangreiche Vertragsstücke schnell und korrekt verfasst. So könnte man noch ewig weiterschreiben und wer solche Vorteile einmal erlebt hat, der kann sich bald nicht mehr vorstellen, wie man bislang ohne sie ausgekommen ist.
Darüber hinaus besteht mit jeder Neuerung die Chance, das gegebene Verständnis von „Arbeitsplatz“ zu reflektieren. Die größere Unabhängigkeit vom Ort des Aktenbestandes vergrößert den Bewegungsraum des Anwenders. Je ausgeklügelter die Funktionen zum Zusammenarbeiten und für das Reporting werden, umso kleiner wird das Risiko, außerhalb der gewohnten Umgebung schlechtere Ergebnisse zu erzielen. Ein Blick nach Asien zeigt, dass es völlig normal sein kann, Meetings, Arbeitsgruppen oder Job-Interview vorm Café nebenan abzuhalten. Was in Hongkong das Platzproblem lindert und quasi im Vorbeigehen ein neues Selbstverständnis von Arbeit erzeugt, kann hierzulande erst recht die Qualität des Arbeitsraumes erhöhen. Nicht jedes verwinkelte, stickige Bürogebäude lässt sich im Handumdrehen in eine zeitgemäße und individualisierte Arbeitslandschaft verwandeln. Aber mit den entsprechenden IT-Lösungen ist das auch gar nicht zwingend erforderlich.
Bei der Einführung neuer IT-Lösungen müssen entsprechende ‚Experimente‘ direkt mit eingeplant werden, anstatt bloß gönnerhaft zur Kenntnis zu nehmen, dass „man“ ja mal was ausprobieren könnte. Von der Customer Journey ist der Schritt zur Employee Journey nicht weit, um nur mal ein Stichwort in den Raum zu werfen.
Erst wenn das Schneidebrettchen die Morgennachrichten vorliest…
Gerade technikfernen Mitarbeitern fehlt ein positives Technikerlebnis aus dem privaten Umfeld, weswegen die Ressentiments im Fall der ‚Konfrontation‘ ins Kraut schießen. Es ist daher wichtig, solche Erlebnisse nachträglich zu generieren und die Lücke zwischen ihnen und den übrigen, sicher zum Teil jüngeren Kollegen zu schließen. Dies kann wie mit jeder Veränderung im Berufsalltag auf verschiedenste Arten geschehen und nahezu jede Methode lässt sich auch für IT-Themen anwenden.
Aber warum werden Workshops zu neuer Technologie im Umfeld der „alten Arbeit“ abgehalten? Können Präsentationen, Workshops und Trainings zu Software und Geräten den Charme des Neuen verströmen, wenn man doch nur wieder in den muffigen Meeting-Räumen sitzt? Wie glaubhaft ist es, wenn man mit jahrzehntealten Akronymen und abgenudelten Gruppenspielchen das Tor ins Übermorgen aufstoßen will?
Neben der klassischen bedarf es also neuer Herangehensweisen. In diesem Zusammenhang kann man sich die Überschneidung von beruflicher und privater Welt am Ehesten zu Nutze machen und gedankliche Barrieren einfach umgehen. Wo die Möglichkeit besteht, sollte man Management und Mitarbeiter einfach einmal im Selbstversuch ausprobieren lassen, was neu ist und wie es sich anfühlt. Ein Tablet kann man zur Bestandsaufnahme in der Lagerhalle genauso problemlos einsetzen wie zum Anzeigen eines Rezepts in der Küche. Die authentische Erkenntnis, dass alles halb so wild ist wie befürchtet, kann Wunder wirken. Und eleganter kann man einen Härtetest gar nicht mit einer vertrauensbildenden Maßnahme verknüpfen.
Natürlich werden neueste Technologien zunächst die Arbeitsplätze beeinflussen, die ohnehin schon einen hohen technologischen Stand aufweisen. Das bedeutet, dass dort auch schon Anwender sitzen, die mit Neuerungen tendenziell gut zurechtkommen. Diese sind nicht die primäre Zielgruppe der obigen Überlegungen, sondern vielmehr alle, die in der Übergangsphase hin zu einer digitalen Arbeitswelt stecken. Und man darf nicht vergessen, dass die Abfolge von technischen Innovationen immer schneller von statten geht. Wer heute gut zurecht kommt, kann durchaus morgen schon zu den Überforderten gehören.
Wenn man ein Fazit aus den vielen Studien zur Digitalisierungsbereitschaft ziehen kann, dann ist es die Erkenntnis, dass man auf keiner Hierarchieebene und in keinem Arbeitsbereich von Selbstverständlichkeiten ausgehen darf.
Der Einfall war kindisch, aber göttlich schön…
Software und Technik unterliegen einem ständigen Anpassungsprozess, der sich wesentlich an der Nützlichkeit ausrichtet. Daraus folgt, dass alle Anwender auf verschiedene Weise Einfluss ausüben, welche Arbeit in welcher Form unterstützt wird.
Im Rahmen der Digitalisierung wird ohnehin vieles früher in die Praxis überführt, so dass die kontinuierliche Korrektur und Erweiterung von Produkten ein struktureller Bestandteil der neuen Arbeitswelt ist. Durch die erhöhte Geschwindigkeit in vielen Arbeitsbereichen tritt der Bedarf für diese Anpassungen stärker zu Tage, da Fehler und unzureichende Funktionen stärker ins Bewusstsein gerufen werden. Der Bedarf, das mitzuteilen und gleichzeitig aus der Praxis heraus Anregung für die Verbesserung zu geben, wächst in gleichem Maße. Diesen Input nicht zu nutzen und damit engagierte Mitarbeiter zu verprellen, würde die propagierten Chancen der Digitalisierung gründlich diskreditieren.
Wer eine Neuerung einführt sollte daher nach der Implementierung nicht nur auf die Kennzahlen und Rahmendaten gemäß seiner Leistungsbeschreibung achten, sondern im Laufe des nächsten Viertel- bis halben Jahres eine Evaluierung unter den Sachbearbeitern durchführen, die Ergebnisse teilen und sowohl die Erkenntnisse als auch die tatsächlichen Konsequenzen an die Befragten zurückmelden. Das ist der Maßstab der eigenen Wirkmächtigkeit im Sinne der eingangs aufgerufenen „Ausgestaltung der Verhältnisse“.
Ausgewählte Ergebnisse aus dem Branchenmonitor Digitalisierung finden Sie hier.